Aktuelle Judikatur

Haftet eine Tageszeitung bei unrichtigen Informationen nach dem Produkthaftungsgesetz?

OGH vom 21.1.2020, Geschäftszahl 1 Ob 163/19f (EuGH Vorlage unter RL 85/374/EWG)

Im redaktionellen Teil einer Tageszeitung war unter der Rubrik „Hing´schaut und g´sund g´lebt“ folgende Empfehlung eines „Kräuterpfarrers“ abgedruckt: „Frisch gerissener Kren kann mithelfen, die im Zuge von Rheuma auftretenden Schmerzen zu verringern. Die betroffenen Zonen werden vorher mit einem fettigen pflanzlichen Öl oder mit Schweineschmalz eingerieben, bevor man den geriebenen Kren darauflegt und anpresst. Diese Auflage kann man durchaus zwei bis fünf Stunden oben lassen, bevor man sie wiederum entfernt. Diese Anwendung besitzt eine gute ableitende Wirkung.“

Die Angabe „zwei bis fünf Stunden“ für die Dauer der Krenauflage war jedoch falsch und hätte es richtigerweise „zwei bis fünf Minuten“ lauten müssen.
Eine Abonnentin der Tageszeitung erlitt nach drei Stunden Krenauflage schwere Verletzungen am Sprunggelenk ihres linken Fußes durch toxische Kontaktreaktionen. Sie klagte die Tageszeitung auf Schadenersatz und begehrte auch die Feststellung der Haftung für Folgeschäden. Dabei stützte sie ihren Anspruch primär auf eine verschuldensunabhängige Haftung der Beklagten als Herstellerin nach dem Produkthaftungsgesetz (PHG).

Nach diesem Gesetz, das auf die EU-Produkthaftungs-RL 85/374 EWG zurückgeht, haftet der Hersteller eines Produkts, das einen Fehler aufweist, für den dadurch entstandenen Schaden, ohne dass es auf ein Verschulden ankommt. § 4 PHG definiert „Produkt“ als jede bewegliche körperliche Sache. Gemäß § 5 Abs 1 PHG ist ein Produkt fehlerhaft, wenn es nicht die Sicherheit bietet, die man unter Berücksichtigung aller Umstände zu erwarten berechtigt ist, besonders angesichts 1. der Darbietung des Produkts, 2. des Gebrauchs des Produkts, mit dem billigerweise gerechnet werden kann und 3. des Zeitpunkts, zu dem das Produkt in den Verkehr gebracht worden ist.

Der OGH entschloss sich dazu, die Frage, ob auch der Inhalt einer Tageszeitung ein „Produkt“ im Sinne der Richtlinie sei, dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen (Beschluss vom 21.1.2020, 1 Ob 163/19f):

„Ist Art 2 in Verbindung mit Art 1 und Art 6 der Richtlinie 85/374/EWG des Rates vom 25. Juli 1985 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte dahin auszulegen, dass als (fehlerhaftes) Produkt auch ein körperliches Exemplar einer Tageszeitung anzusehen ist, die einen fachlich unrichtigen Gesundheitstipp enthält, dessen Befolgung einen Schaden an der Gesundheit verursacht?“

Der OGH hielt dazu fest, dass für die Auslegung des PHG das Gebot der richtlinienkonformen Interpretation gelte. Ob eine Verlegerin oder Medieninhaberin einer Tageszeitung, die die Veröffentlichung eines Artikels veranlasse, nach der Richtlinie 85/374/EWG (und nach dem PHG) für den unrichtigen Inhalt der Zeitung hafte, sei strittig. Ein Teil der (deutschsprachigen) Literatur beschränke die Haftung für Informationsträger auf jene Schäden, die durch ihre Körperlichkeit (zB giftiger Einband eines Buches oder giftige Druckfarbe) verursacht worden sind. Andere würden die Produkthaftung auch wegen einer fehlerhaften geistigen Leistung bejahen, wobei als Haftpflichtige der Verlag, der Autor und die Druckerei in Frage kommen sollten.

Für die Haftung des (Buch-)Herstellers, Medieninhabers oder Verlegers auch für den Inhalt des Werks werde die Verkehrsanschauung ins Treffen geführt, dass ein Druckwerk nicht als (mehr oder weniger formschön zusammengehaltener) Stapel Papier, sondern wegen seines Inhalts gekauft werde und die Erwartungen der Verbraucher an das Produkt nicht nur die seien, dass aus dem Druckwerk keine Klammern herausstünden, an denen sie sich verletzen könnten, sondern dass es den beworbenen Inhalt vermittle. Speziell Handbücher, Anleitungen, Wanderkarten etc könnten nur deshalb vertrieben werden, weil die Endabnehmer erwarteten, von ihnen korrekte Instruktionen zu erhalten. Wenn ein Kochrezept in einem Buch oder einer Zeitung fälschlicherweise eine gesundheitsschädliche Dosis einer bestimmten Zutat angebe, wäre es inkonsequent, das Opfer leer ausgehen zu lassen, während es bei der irrtümlichen Beimischung derselben Übermenge in ein von ihm gekauftes Fertigprodukt oder wegen einer diesem beigepackten falschen Gebrauchsanweisung dessen Hersteller belangen könnte (so der OGH, mit konkreten Literaturzitaten).

Gegen die Haftung für eine falsche Information würden angeführt: - der Schutzzweck der Produkthaftung, wonach für die Gefährlichkeit der Sache und nicht des Rates gehaftet werde, - der Umstand, dass geistige Leistungen keine Produkte im Sinne des § 4 PHG seien, weil sie als solche keine körperlichen Sachen seien, - dass die Anknüpfung der Produkthaftung an die Verkörperung der Information willkürlich sei und Informationen aus dem Anwendungsbereich auszunehmen seien und - die „Sorge vor der Grenzenlosigkeit“ eines solch weitgehenden Produktverständnisses, das letztlich jegliche Verschriftlichung geistigen Inhalts einer verschuldensunabhängigen Haftung unterwerfe (auch hier führt der OGH jeweils konkrete Literaturfundstellen an).

Da die Lösung der Frage, ob der Inhalt einer Tageszeitung als Produkt anzusehen sei, anhand des Wortlauts der Richtlinie nicht klar und eindeutig möglich sei, sei die Klärung dieser Rechtsfrage an den Gerichtshof der Europäischen Union heranzutragen. Sollte die Beklagte als Herstellerin nach der Richtlinie 85/374/EWG die verschuldensunabhängige Haftung für den Inhalt ihrer Zeitung treffen, habe sie grundsätzlich für die Befolgung der unrichtigen Empfehlung einzustehen, unabhängig davon, ob die falsche Behandlungszeit bereits im Manuskript des „Kräuterpfarrers“ angeführt war oder sich erst durch einen Übertragungsfehler im Bereich der Beklagten eingeschlichen habe.

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