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Verfassungsgerichtshof: Kein generelles Recht auf Löschung aus einer Online-Bewertungsplattform

05.01.2016

Mit Erkenntnis vom 8.10.2015, G 264/2015-18, hob der VfGH die Bestimmung des § 28 Abs 2 DSG als verfassungswidrig auf (mit Wirkung zum Ablauf des 31.12.2016), welche lautet(e): Gegen eine nicht gesetzlich angeordnete Aufnahme in eine öffentlich zugängliche Datenanwendung kann der Betroffene jederzeit auch ohne Begründung seines Begehrens Widerspruch erheben. Die Daten sind binnen acht Wochen zu löschen.

Ausgangspunkt für diese grundlegende Entscheidung des VfGH war die Klage eines Arztes, der die Löschung der ihn betreffenden Einträge in einem Internet-Ärzteverzeichnis (mit Bewertungen durch Patienten) forderte. Das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien gab der Klage gegen den Betreiber des Internetportals statt, weil das Widerspruchsrecht laut § 28 Abs 2 DSG auch ohne Anführung schutzwürdiger Interessen ausgeübt werden könne. Der Gesetzgeber stelle das Löschungsrecht eben ausschließlich in das Belieben des Betroffenen. Die in § 48 DSG vorgesehene Ausnahme für die publizistische Tätigkeit von Medienunternehmen (Medienprivileg) sei hier nicht anzuwenden. Das Löschungsbegehren sei daher berechtigt.

Die Betreibergesellschaft des Internetportals erhob gegen das Urteil Berufung (an das OLG Wien) und stellte zugleich einen Parteienantrag gemäß Art 140 Abs 1 Z 1 lit d B-VG (Bundes-Verfassungsgesetz) an den VfGH auf Aufhebung des § 28 Abs 2 DSG wegen Verfassungswidrigkeit. Die Bestimmung verstoße gegen die Kommunikationsfreiheit gemäß Art 10 EMRK (Europäische Menschenrechtskonvention) und den Gleichheitssatz (Art 7 Abs 1 B-VG, Art 2 StGG-Staatsgrundgesetz).

Der Verfassungsgerichtshof gab dem Antrag statt. Die gegenständliche Bestimmung sei zunächst in Übereinstimmung mit der Judikatur des OGH (zu Bonitätsprüfungs-Daten) dahin auszulegen, dass bereits der Widerspruch als solcher nach dem „völlig eindeutigen Gesetzeswortlaut“ die Verpflichtung zur Löschung der Daten auslöst und es nicht auf eine Darlegung eines besonderen Geheimhaltungsinteresses oder objektiv schutzwürdiger Interessen ankommt.

§ 28 Abs 2 DSG, der somit den Betroffenen ein jederzeitiges und begründungsloses Widerspruchsrecht einräumt, das eine unbedingte Verpflichtung des Auftraggebers zur Löschung der Daten nach sich zieht, greife unverhältnismäßig in die Meinungsäußerungs- und Informationsfreiheit des Art 10 EMRK ein. Mit diesem Widerspruchsrecht könne jegliche Information unterbunden werden, unabhängig davon, ob es sich dabei um Angaben zur Person des Betroffenen, seinen Lebensumständen, seinem persönlichen Hintergrund, seiner beruflichen Tätigkeit oder um Fakten, Tatsachenbehauptungen oder Werturteile handle. Damit sei etwa die Aufnahme in ein öffentlich zugängliches Telefon- oder Adressverzeichnis ebenso erfasst wie eine kritische Auseinandersetzung mit der Tätigkeit eines namentlich genannten Politikers auf einer Internetseite. Die angefochtene Regelung erlaube keine Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls, die beispielsweise darin bestehen könnten, dass die in der Datenanwendung veröffentlichte Information von besonders großem Interesse für die Allgemeinheit ist, etwa auf Grund der Rolle, die die betroffene Person im öffentlichen Leben spielt.

Der Verfassungsgerichtshof verkenne zwar nicht, dass die Aufnahme personenbezogener Daten in eine öffentlich zugängliche Datenanwendung für den Betroffenen, der diese Art der Verwendung nicht zumindest duldet, einen schweren Eingriff in seine Interessen darstellen kann. Allerdings, so der VfGH, sei dem Widerspruch gemäß § 28 Abs 2 DSG in der derzeitigen Formulierung jedoch auch dann mittels Löschung der Daten Folge zu leisten, wenn das Interesse des Auftraggebers an der Äußerung oder Weitergabe der Information bzw das Interesse der (potentiellen) Empfänger am Zugang zu dieser Information jenes des Betroffenen an der Löschung überwiegt.

Es sei hier jedoch auf Grund von Art 10 EMRK eine Interessenabwägung verfassungsrechtlich geboten, um einen angemessenen Ausgleich zwischen den widerstreitenden, häufig auch grundrechtlich geschützten Interessen herzustellen. Da es mangels Anwendbarkeit des Medienprivilegs (§ 48 DSG) somit Fallkonstellationen gebe, wo durch das Widerspruchsrecht eine unbedingte Löschungsverpflichtung bewirkt werde, obwohl Art 10 EMRK eine Interessenabwägung gebiete, sei § 28 Abs 2 DSG wegen Verstoßes gegen das Recht auf freie Meinungsäußerung als verfassungswidrig aufzuheben.

Aufgrund dieses höchstgerichtlichen Erkenntnisses wird das datenschutzrechtliche Widerspruchsrecht durch eine gesetzliche Verpflichtung zur grundrechtlichen Interessenabwägung zu ergänzen sein. In Deutschland, wo es keinen vergleichbaren, generellen Löschungsanspruch gegenüber einem Portalbetreiber gibt, hat der BGH (Bundesgerichtshof) Unterlassungsansprüche nach dem deutschen Bundesdatenschutzgesetz bei einer Bewertungsplattform für Ärzte abgelehnt, weil sich der Bewertete im Einzelfall wehren und die Löschung unwahrer Tatsachenbehauptungen sowie beleidigender oder sonst unzulässiger Bewertungen verlangen könne. Allgemein müsse sich der betroffene Arzt aber auf die Beobachtung seines Verhaltens durch eine breitere Öffentlichkeit und allfällige Kritik einstellen.

Diese Entscheidung ändert aber nichts daran, dass von den bewerteten Unternehmern eine Herabwürdigung in Form unwahrer und damit häufig rufschädigender Behauptungen durch Kunden oder andere Verbraucher auf Bewertungsplattformen nach der Bestimmung des § 1330 ABGB verfolgt werden. Außerdem müssen auch die Bewertungsportale bei Kenntnis solcher offenkundigen Rechtsverletzungen (insbesondere nach einer entsprechenden Mitteilung durch das bewertete Unternehmen) gleich reagieren und den Beitrag sowie allfällige Reaktionen darauf löschen oder auch angemessen überwachen. Bei komplizierteren Rechts- oder Tatfragen werden zuvor noch (rasch) ein Jurist und/oder der Verfasser selber damit befasst bzw konfrontiert werden können.


Für nähere Informationen zum Thema Bewertungsplattformen siehe Seidelberger, Bewertungen auf Internetplattformen – Die Grenzen der Zulässigkeit, ipCompetence Vol. 14, 28 = Beilage zu ÖBl, Österreichische Blätter für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht, 2015/Heft 06. Dieser Beitrag ist unter dem Punkt News und dann Publikationen im Volltext abrufbar.

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