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“Ibiza-Skandal”: Der OGH zur Zulässigkeit der verdeckten Ermittlung im Bürgerjournalismus

03.06.2020

Entscheidung des OGH vom 23.1.2020 zur Geschäftszahl 6 Ob 236/19b

Der Kläger Johann Gudenus beantragte im Sommer 2019 die Unterlassung der Herstellung und Verbreitung sowie Veröffentlichung der heimlichen Ton- und Bildaufnahme des Treffens sowie der Transkripte der Filmaufnahmen. Das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien erließ die Einstweilige Verfügung antragsgemäß. Der dagegen vom Beklagten erhobene Rekurs blieb erfolglos, jedoch ließ das Oberlandesgericht Wien den ordentlichen Revisionsrekurs zu, weil Rechtsprechung zu ähnlichen Sachverhaltskonstellationen bislang fehlte.

Der OGH hat dem Revisionsrekurs des Beklagten teilweise Folge gegeben und die Einstweilige Verfügung insoweit abgeändert, dass dem Beklagten zwar verboten wurde, Ton- oder Bildaufnahmen vom Kläger ohne dessen Einverständnis herzustellen; im übrigen jedoch, und zwar dem Beklagten zu verbieten, Ton- und Bildausschnitte aus dem Video zu veröffentlichen, zu verbreiten, oder anderen Personen vorzuspielen, wurde das Sicherungsbegehren abgewiesen. Begründet wurde die Entscheidung im Wesentlichen damit, dass die Veröffentlichung der Videoaufnahme „einen außergewöhnlich großen Beitrag zu einer Debatte von öffentlichem Interesse leistete“, während die durch die Aufnahme bewirkte Eingriffshandlung in die Persönlichkeitsrechte des Klägers nicht nur das öffentlichen Interesse zu rechtfertigen sei. Diese Begründung war dem im Provisorialverfahren bescheinigten Sachverhalt geschuldet, wonach der Beklagte die Aufnahme in Gewinnabsicht und nicht mit dem Zweck einen Beitrag zur öffentlichen Debatte zu leisten, angefertigt habe, und die Aufnahme damit nach Ansicht des OGH nicht in einem derart engen Zusammenhang mit der nachfolgenden Veröffentlichung stehen würde, um sie als einheitlichen Vorgang zu bewerten.

So würden geheime Bildaufnahmen im Privatbereich regelmäßig eine Verletzung der Geheimsphäre darstellen. Es bedürfe daher einer umfassenden Güter- und Interessenabwägung im Einzelfall, bei der dem Interesse am gefährdeten Gut die Interessen der Handelnden und die der Allgemeinheit gegenübergestellt werden müssen. Der Beklagte könnte sich nach Ansicht des Gerichtes mit der Veranlassung der heimlichen Videoaufnahmen nicht darauf stützen, das Motiv verfolgt zu haben, zu einer Debatte von öffentlichem Interesse beizutragen. So veranlasste er die Aufnahme vielmehr, um das Video gewinnbringend zu verkaufen. Mit der bloßen Weitergabe gegen Entgelt, allenfalls an einen sehr eingeschränkten Personenkreis, sei aber noch kein Beitrag zu einer Debatte von öffentlichem Interesse verbunden. Daraus würde sich kein von Art 10 EMRK geschütztes Interesse des Beklagten ergeben, das höher zu bewerten wäre als das Interesse des Klägers, während eines nicht in der Öffentlichkeit geführten Gesprächs nicht heimlich in Bild und Ton aufgenommen und nicht über die Identität seiner Gesprächspartner getäuscht zu werden.

Anders verhält es sich jedoch für die Zugänglichmachung der Aufnahmen an zwei Medienunternehmen, womit die Voraussetzung geschaffen wurde, dass diese die Aufnahme veröffentlichen, verbreiten und anderen vorspielen, sowie Transkripte herstellen und diese ihrerseits verbreiten konnten. Hinsichtlich dieser Eingriffshandlungen kann sich der Beklagte aber - anders als hinsichtlich der Herstellung der Aufnahmen - zur Rechtfertigung des dadurch bewirkten Eingriffs in die Privatsphäre des Klägers auf die von Art 10 EMRK geschützte Meinungsäußerungsfreiheit stützen, weil die hier zu beurteilende Eingriffshandlung tatsächlich einen Beitrag zu einer Debatte von öffentlichem Interesse leistete. So wurde die Öffentlichkeit durch die Weitergabe des Videos an zwei Medienunternehmen und die dadurch ermöglichte Veröffentlichung in die Lage versetzt, sich selbst ein Bild über die persönliche Integrität (unter anderem) des Klägers zu machen und daraus Schlüsse auf seine Eignung zur Ausübung hoher politischer Ämter zu ziehen. Der OGH resümierte, dass die Veröffentlichung der Videoaufnahme einen außergewöhnlich großen Beitrag zu einer Debatte von öffentlichem Interesse leistete. Dieser Beitrag sei im vorliegenden Fall höher zu gewichten als das Interesse des Klägers an der Wahrung der Vertraulichkeit des stattgefundenen Gesprächs.

Eine ausführlichere Darstellung zu dieser wegweisenden Entscheidung von Sonja Dürager, Rechtsanwalt bei bpv Hügel Rechtsanwälte GmbH, findet sich auf http://www.oev.or.at

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