Aktuelle Judikatur

OGH legt Ausverkaufsbestimmungen dem EuGH zur Vorabentscheidung vor

OGH 12.4.2011, 4 Ob 154/10s

Der vom Schutzverband beklagte Textilhändler kündigte in einem Inserat einen „Totalabverkauf“ seiner Waren an und warb dafür vor seinem Verkaufslokal mit Plakatständern und Scheibenklebern. Neben dem Ausdruck „Totalabverkauf“ verwendete er dort auch Formulierungen wie „Alles muss raus!“ und „bis zu minus 90 %“. Eine Bewilligung der Bezirksverwaltungsbehörde hatte der Beklagte für die Ankündigung des Ausverkaufs nicht eingeholt.

Die zweite Instanz erließ die beantragte einstweilige Verfügung. Nach der vorläufigen Beurteilung des OGH müsste das Rechtsmittel des Beklagten dagegen bei Anwendung der §§ 33a ff UWG erfolglos bleiben. Es stellt sich allerdings die Frage, ob diese Bestimmungen mit der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken (RL-UGP) vereinbar sind.

Zunächst hält der OGH fest, dass es sich bei der Ankündigung eines Ausverkaufs gemäß § 33a Abs. 1 UWG zweifellos um eine Geschäftspraktik im Sinne dieser Richtlinie handelt. Diese wird zwar nicht generell verboten, aber von Vorliegen einer verwaltungsbehördlichen Bewilligung abhängig gemacht. Der Umstand, dass in einem gerichtlichen Verfahren bei Erhebung einer Unterlassungsklage nur zu prüfen ist, ob eine Bewilligung vorliegt, wird von Teilen der Lehre als Grund für die Unvereinbarkeit mit der RL-UGP angesehen (Schuhmacher, Das Ende der österreichischen per-se-Verbote von „Geschäftspraktiken“ gegenüber Verbrauchern, wbl 2010, 612; Horak, Glosse zu EuGH C-540/08, ecolex 2011, 144).

Nach Auffassung des OGH ist aber eine differenzierte Betrachtung erforderlich. Ein verwaltungsbehördliches Bewilligungsverfahren bedeutet noch nicht, dass die getroffene Geschäftspraktik „unter allen Umständen“ nach Art 5 Abs. 5 RL-UGP unzulässig wäre. Vielmehr wird die Prüfung der Geschäftspraktik nur vom Gericht zur Verwaltungsbehörde verlagert, und sie hat im Vorhinein (ex ante) und nicht wie in gerichtlichen Verfahren üblich erst nach Vorliegen eines Verstoßes (ex post) zu erfolgen. Der RL-UGP ist jedenfalls nicht ausdrücklich zu entnehmen, dass sie nur Ex-post-Kontrollen zuließe und es daher ausschlösse, für bestimmte Geschäftspraktiken eine Vorweggenehmigung durch eine Verwaltungsbehörde vorzusehen.

Die Verwaltungsbehörde wird eine solche Genehmigung allerdings zwingend erteilen müssen, wenn die beabsichtigte Geschäftspraktik den Vorgaben der RL-UGP entspricht, wenn sie also weder in deren Anhang als jedenfalls unzulässig angeführt ist noch im Einzelfall irreführenden, aggressiven oder sonst unlauteren Charakter hat. Denn dürfte die Verwaltungsbehörde die Ausverkaufsankündigung auch in einem solchen Fall untersagen, müsste der Unternehmer diese Geschäftspraktik auch dann unterlassen, wenn sie im konkreten Fall nach der RL-UGP zulässig wäre. Das wäre europarechtlich nicht zulässig.

§ 33c Abs. 3 UWG könnte zu einem solchen Ergebnis führen. Nach dieser Bestimmung hat die Verwaltungsbehörde die Bewilligung der Ankündigung eines Ausverkaufs zu verweigern, wenn kein Grund im Sinn von § 33b Z 4 UWG vorliegt oder der Ausverkauf nicht für einen durchgehenden Zeitraum angekündigt werden soll. Überdies ist die Ankündigung eines Ausverkaufs außer in „rücksichtswürdigen“ Fällen jedenfalls unzulässig, wenn er länger als ein halbes Jahr dauern oder während bestimmter Zeiträume (Ostern bis Pfingsten bzw. sechs Wochen vor Weihnachten) stattfinden soll. Das Gesetz enthält daher generelle Regeln für die Bewilligung von Ausverkaufsankündigungen, die nicht am konkret irreführenden, aggressiven oder sonst unlauteren Charakter dieser Geschäftspraktik anknüpfen. Die RL-UGP hat allerdings als Rechtsakt des Europarechts Vorrang vor entgegenstehenden Bestimmungen des nationalen Rechts.

Die Verwaltungsbehörde ist daher verpflichtet, die Ankündigung eines Ausverkaufs zu bewilligen, wenn diese Ankündigung im Einzelfall den Vorgaben der Richtlinie entspricht. Soweit § 33c Abs. 2 UWG dem entgegensteht, darf diese Bestimmung nicht angewendet werden. Der Unternehmer könnte dies mit Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof durchsetzen, der als letztinstanzliches Gericht gegebenenfalls zur Einholung einer Vorabentscheidung verpflichtet wäre. Der Rechtsschutz des Einzelnen ist im Verwaltungsverfahren gewahrt.

Damit könnte § 34 Abs. 3 UWG, wonach das Gericht die Ankündigung eines Ausverkaufs schon dann zu untersagen hat, wenn keine verwaltungsbehördliche Bewilligung vorliegt, mit der RL-UGP vereinbar sein. Denn diese Bestimmung führt lediglich zur Verpflichtung des Unternehmers, vorweg eine verwaltungsbehördliche Bewilligung einzuholen. Die Tatsache, dass die Verwaltungsbehörde diese Genehmigung nur bei Vorliegen der Voraussetzungen der RL-UGP verweigern darf, kann und muss der Unternehmer im Verwaltungsverfahren durchsetzen.

Es ist aber auch die gegenteilige Ansicht vertretbar. So könnte schon das Erfordernis einer Vorweggenehmigung der RL-UGP widersprechen, weil es bei formaler Betrachtung ein Per-se-Verbot begründet. Die Ankündigung eines Ausverkaufs ist im gerichtlichen Verfahren jedenfalls zu untersagen, wenn keine Bewilligung vorliegt. Zum anderen könnte auch die richtlinienwidrige Ausgestaltung der Gründe für die Verweigerung der Bewilligung nach § 33 Abs. 2 UWG entscheidende Bedeutung haben. Es könnte angenommen werden, dass ein mit dem Fehlen einer verwaltungsbehördlichen Bewilligung begründetes gerichtliches Verbot einer Geschäftspraktik nur dann zulässig ist, wenn die im Gesetz vorgesehenen Gründe
für die Erteilung oder Verweigerung dieser Bewilligung den Vorgaben der Richtlinie entsprechen.

Als Gericht letzter Instanz ist der Oberste Gerichtshof zur Vorlage verpflichtet, wenn die richtige Anwendung des Europarechts nicht derart offenkundig ist, dass kein Raum für einen vernünftigen Zweifel bleibt. Solche Zweifel liegen hier vor. Bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs ist das Verfahren über das Rechtsmittel des Beklagten zu unterbrechen.

Der OGH hat daher folgenden Beschluss gefasst: Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird gemäß Art 267 AEUV folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt: Stehen Art 3 Abs. 1 und Art 5 Abs. 5 der Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken - RL-UGP) oder andere Bestimmungen dieser Richtlinie einer nationalen Regelung entgegen, wonach die Ankündigung eines Ausverkaufs ohne Bewilligung der zuständigen Verwaltungsbehörde unzulässig und daher in einem gerichtlichen Verfahren zu untersagen ist, ohne dass das Gericht in diesem Verfahren den irreführenden, aggressiven oder sonst unlauteren Charakter dieser Geschäftspraktik prüfen müsste?

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