Aktuelle Judikatur

EuGH untersagt Einschränkung des Internetvertriebs

EuGH 13.10.2011, Rechtssache C-439/09

Die französische Gesellschaft Pierre Fabre Dermo-Cosmétique SAS ist Hersteller von Kosmetika und Körperpflegeprodukte und vertreibt diese hauptsächlich in Apotheken auf dem französischen und europäischen Markt. Pierre Fabre schloss für einige seiner Markenprodukte, die keine Arzneimittel sind und daher nach französischem Recht nicht ins Apothekenmonopol fallen, Vertriebsvereinbarungen ab, wonach der Verkauf ausschließlich in einem physischen Raum und in Anwesenheit eines diplomierten Pharmazeuten erfolgen durfte. Damit waren de facto sämtliche Verkaufsformen über das Internet ausgeschlossen.

Den rechtlichen Hintergrund auf europäischer Ebene in diesem Fall bilden Art. 81 Absatz 1 EG [Art. 101 AEUV] zum Verbot von Vereinbarungen, die eine Einschränkung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken und Art. 81 Absatz 3 EG [Art.101 Absatz 3 AEUV] zur Möglichkeit unter bestimmen Voraussetzungen eine Ausnahme – Einzelfreistellung – für Vereinbarungen zu gewähren. Nach diversen EU-Verordnungen sind weiters Gruppenfreistellungen möglich. Die französische Wettbewerbsbehörde prüfte die Sach- und Rechtslage und entschied im Jahr 2008, dass aufgrund des de facto bestehenden Verbots des Internetverkaufs die Vertriebsvereinbarungen von Pierre Fabre Dermo-Cosmétique SAS wettbewerbwidrige Vereinbarungen darstellten, die sowohl gegen französisches Recht als auch gegen EU-Wettbewerbsrecht verstießen. Die nationale Wettbewerbsbehörde war der Auffassung, das Internetverkaufsverbot verfolge zwangsläufig einen wettbewerbsbeschränkenden Zweck und falle weder unter eine Gruppenfreistellung noch unter eine Einzelfreistellung.

Aufgrund eines Rechtsbehelfs von Pierre Fabre hatte sich der EuGH in einem Vorabentscheidungsverfahren mit Auslegungsfragen zu befassen; einerseits ob ein allgemeines und absolutes Verbot des Verkaufs über das Internet eine „bezweckte“ Wettbewerbsbeschränkung darstelle, andererseits ob eine solche Vereinbarung in den Genuss einer Gruppenfreistellung kommen könne und ob, falls die Gruppenfreistellung unanwendbar sein sollte, die Vereinbarung in den Genuss einer Einzelfreistellung nach Art. 101 Absatz 3 AEUV kommen könne.

Der EuGH hielt in seinem Urteil fest, dass bei der Prüfung der Frage, ob eine Vertragsklausel eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung enthält, auf den Inhalt der Klausel, die mit der Klausel verfolgten Ziele und auf den wirtschaftlichen wie rechtlichen Zusammenhang abzustellen ist. Ohne objektive Rechtfertigung stellen selektive Vertriebssysteme bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen dar. Als Auslegungskriterien für das Unionsrecht zur Rechtfertigung hält der EuGH wie in älteren Urteilen für vergleichbare Fälle fest, dass die Notwendigkeit individueller Beratung des Kunden und sein Schutz vor Falschanwendung der Produkte keine Argumente für das Verbot des Internethandels seien. Zu Gruppenfreistellungen für selektive Vertriebssysteme äußerte sich der EuGH negativ. Denn wenn de facto das Internet als Vertriebsform verboten wird, wird damit der Verkauf an Konsumenten, die außerhalb des physischen Einzugsgebiets des Verkäufers liegen, beschränkt. Eine Einzelfreistellung kann hingegen nach Art. 101 Absatz 3 AEUV unter bestimmten Voraussetzungen möglich sein.

Somit stärkte der EuGH mit der grundsätzlichen Zulässigkeit des Internetvertriebs den Wettbewerb und aufgrund des damit verbundenen deutlich größeren Aktionsradius die Position der Händler, weil Einschränkungen durch Herstellerseite nur mehr in besonderen Ausnahmefällen möglich sind.

Auch die bei dieser Entscheidung noch nicht zu beurteilenden Leitlinien zur 2010 erlassenen neuen Vertikal-Gruppenfreistellungsverordnung ordnen nun ein Verbot des Vertriebs über das Internet als eine Kernbeschränkung des Wettbewerbs ein (Rn. 52 und 56 der Leitlinie zur Vertikal-GVO, näher dazu Gruber, Internetvertrieb, ÖZK 2011, 191). Damit wird der Internetvertrieb als ein weiterer Vertriebskanal auch durch das europäische Kartellrecht angesehen, weil er den klassischen Vertrieb sinnvoll ergänzt.

Da das Internet Vertriebshändlern ermöglicht, verschiedene Kunden und Gebiete zu erreichen, werden Beschränkungen der Verwendung des Internet von Vertriebshändlern als Kernbeschränkungen betrachtet und sind unzulässig. Ebenso gehören zu den Kernbeschränkungen Verpflichtungen, die Vertriebshändler von der Anwendung des Internet abschrecken sollen, wie eine Begrenzung des Anteils der Internetverkäufe oder die Forderung, dass ein Vertriebshändler einen höheren Kaufpreis für Online-Produkte zahlt.

Allerdings dürfen Lieferanten einen Alleinvertrieb oder ein selektives Vertriebsnetz aufbauen, was ihnen ermöglicht, aktive Verkäufe in Exklusivgebieten oder auf Kundengruppen zu beschränken und Qualitätsnormen für die Verwendung einer Website zu verlangen.



Zurück zur Liste

Impressum | Suche | Newsletter | © Schutzverband gegen unlauteren Wettbewerb (2024)