Aktuelle Judikatur

Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH zur beruflichen Sorgfalt bei Irreführung

OGH 05.07.2011, 4 Ob 27/11s

Die Streitparteien dieser Causa sind Reisebüros, die Schulschikurse und Winterurlaube aus dem Vereinigten Königreich in Österreich organisieren und vermitteln. In der englischen Verkaufsbroschüre und der Preisliste der Beklagten waren bestimmte Unterkünfte auffallend mit „exklusiv“-Zeichen gekennzeichnet.

Dies bedeutete nach den erläuternden Angaben, dass die Beherbergungsbetriebe in fixen Vertragsverhältnissen für Bettenkontingente zur Beklagten stehen und zu den gekennzeichneten Terminen nicht von anderen Veranstaltern angeboten werden. Die Exklusivverträge enthalten die Bestimmung, dass die gekennzeichneten Zimmerkontingente für die Beklagte zur uneingeschränkten Verfügung gehalten werden und die Beherbergungsbetriebe ohne schriftliche Zustimmung der Beklagten davon nicht Abstand nehmen können. Dennoch wurden zu einem späteren Zeitpunkt in denselben Betrieben für dieselben Termine Bettenkontingente durch die Klägerin reserviert. Die Geschäftsführung der Beklagten vergewisserte sich jeweils, dass zu den reservierten Zeiten kein anderer Reiseveranstalter bereits Betten reserviert hatte und dies auch aufgrund der Kapazität nicht möglich wäre.

Die Klägerin begehrte die Unterlassung der unrichtigen Behauptung einer exklusiven Buchungsmöglichkeit über die Beklagte wegen Verstoßes gegen § 1 Absatz 1 Z 1 und 2, Absatz 3 Z 1 und 2 sowie § 2 UWG, da sie selbst zum selben Zeitraum die gesamten oder teilweisen Unterkünfte gebucht hat. Das Erstgericht wies dieses Begehren ab, weil die Exklusivitätsbehauptung im Hinblick auf die von der Beklagten früher geschlossenen unkündbaren Reservierungsverträge richtig sei. In zweiter Instanz wurde dies bestätigt, denn die Beklagte ist den Erfordernissen der beruflichen Sorgfalt nachgekommen, um die von ihr beworbene exklusive Buchungsmöglichkeit abzusichern und sie durfte sich auf die Vertragstreue ihrer Partner verlassen.

Für den Obersten Gerichtshof sind die Bestimmungen des UWG richtlinienkonform auszulegen und damit stellt sich die Frage wie sich die allgemeine Definition der unlauteren Geschäftspraktik in Artikel 5 Absatz 2 RL-UGP (eine Geschäftspraktik ist unlauter, wenn sie den Erfordernissen der beruflichen Sorgfalt widerspricht und geeignet ist, die wirtschaftliche Entscheidung eines Durchschnittsverbrauchers wesentlich zu beeinflussen) zu den speziellen Definitionen der irreführenden oder aggressiven Geschäftspraktiken in den Artikeln 6 bis 9 RL-UGP (eine solche Geschäftspraktik liegt nur vor, wenn der Durchschnittsverbraucher dadurch zu einer sonst nicht getroffenen geschäftlichen Entscheidung veranlasst wird) verhält.

Es fehlt in all diesen Bestimmungen ein Verweis auf das in Artikel 5 Absatz 2 lit a RL-UGP und in § 1 Absatz 1 Z 2 UWG geregelte Erfordernis eines Widerspruchs gegen die berufliche Sorgfalt. Dies lässt zwei Auslegungsmöglichkeiten zu: einerseits kann die Ansicht vertreten werden, dass ein unter Artikel 6 bis 9 RL-UGP (§ 2 UWG) fallendes Verhalten die Voraussetzungen des Artikels 5 Absatz 2 lit a RL-UGP jedenfalls erfüllt und daher immer auch gegen die berufliche Sorgfalt verstößt; dann wäre die Geschäftspraktik schon unlauter, wenn das beanstandete Verhalten aus Durchschnittsverbrauchersicht irreführend oder aggressiv wäre und ein Widerspruch zur beruflichen Sorgfalt nicht gesondert zu prüfen.

Andererseits kann insbesondere aus systematischen Gründen die Ansicht vertreten werden, dass bei Vorliegen einer irreführenden oder aggressiven Geschäftspraktik aus Durchschnittsverbrauchersicht zusätzlich ein Widerspruch zur beruflichen Sorgfalt zu prüfen ist. Demnach kann der Unternehmer im Einzelfall beweisen, dass er die berufliche Sorgfalt eingehalten hat. Es ist anzunehmen, dass die Elemente der Generalklausel (Artikel 5 Absatz 2 RL-UGP) und § 1 Absatz 1 Z2 UWG) nicht durch die Konkretisierung mittels speziellerer Regelungen unerheblich werden.

Zur Klärung dieser Rechtsfrage legte der OGH dem EuGH gemäß Art 267 AEUV folgende Frage – unter Aussetzung des Rechtsmittelverfahrens – zur Vorabentscheidung vor:

Ist Art 5 der Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern und zur Änderung der Richtlinien 84/450/EWG, 97/7/EG, 98/27/EG und 2005/65/EG sowie der Verordnung (EG) Nr 2006/2004 (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken) dahin auszulegen, dass bei irreführenden Geschäftspraktiken iSd Art 5 Abs 4 dieser Richtlinie eine gesonderte Prüfung der Kriterien des Art 5 Abs 2 lit a der Richtlinie unzulässig ist?

Zurück zur Liste

Impressum | Suche | Newsletter | © Schutzverband gegen unlauteren Wettbewerb (2024)