Aktuelle Judikatur

Werbung mit Reichweitenangaben ähnlich streng zu bewerten wie vergleichende Werbung

OGH vom 30.3.2020, 4 Ob 194/19m

Die Klägerin ist Medieninhaberin der „Kronen Zeitung“, die Beklagte Medieninhaberin von „Österreich“ und „oe24“. Die Klägerin begehrte zur Sicherung ihres gleichlautenden Unterlassungsbegehrens die Erlassung der im Spruch ersichtlichen einstweiligen Verfügung. Die Beklagte habe in ihrer Einschaltung für ihr eigenes Medium einen Vergleich innerhalb des Jahres 2018 angeführt, nämlich einerseits zwischen der bis Ende Juni 2018 am Markt befindlichen Kauf- und Gratis-Ausgabe „Österreich“ (518.000 Leser) und andererseits den seit Anfang Juli 2018 am Markt befindlichen Ausgaben, nämlich der Kaufausgabe „Österreich“ und der Gratis-Ausgabe „oe24“, für die „Kronen Zeitung“ hingegen einen Vergleich zwischen 2017 und 2018, nämlich den Zahlen einerseits der MA 2017 und andererseits der MA 2018. Ein solcher Vergleich sei irreführend, weil unterschiedliche Zeiträume miteinander in Beziehung gesetzt würden.

„Österreich“ habe im Jahr 2017 eine Reichweite von 523.000 Lesern gehabt, im Jahr 2018 518.000 Leser. Dies ergebe nicht die von der Beklagten beanspruchte Steigerung der Reichweite von 80.000 Lesern. Auch wenn man für das Jahr 2018 nicht die für „Österreich“ ermittelte Reichweite betrachte, sondern die Reichweite von „Österreich + oe24“ (598.000 Leser), habe die Beklagte nicht den behaupteten Zuwachs um 80.000 Leser erzielen können. Auch der behauptete Anstieg der Zahl der Leser von „Österreich“ um 80.000 sei daher falsch und damit irreführend. Die Beklagte wandte ein, dass sie mit ihrer Werbung keinen unrichtigen Gesamteindruck vermittelt habe und die Zahlen exakt der MA entsprächen. Im seitlichen Erläuterungstext, der gerade von Lesern einer Fachzeitschrift wahrgenommen werde, werde ausdrücklich auf die Quelle sowie auf den Umstand verwiesen, dass die Kategorie „Österreich/oe24-Kombi“ erstmalig in der MA 2018 erhoben worden sei.

Der Revisionsrekurs gegen die Abweisung durch die Vorinstanzen ist laut OGH zulässig und berechtigt. Für Medieninhaber und Verlage ist beim Verkauf von Anzeigenflächen ein wesentliches Kriterium, möglichst hohe Reichweiten ihrer Medien (Werbeträger) behaupten zu können. Je höher die Reichweite eines Mediums ist, desto attraktiver ist die Schaltung von Inseraten darin. Die Media-Analyse (MA) gilt in Österreich damit als „Leitwährung“ der Werbewirtschaft. Das besonders hohe Vertrauen in sie basiert darauf, dass sie nicht von einem einzelnen Werbeträger oder einem einzelnen Forschungsinstitut, sondern im Rahmen eines Vereins durch alle Betroffenen (Nutzer und Anbieter) unter Beiziehung der auf diesem Gebiet in Österreich führenden Meinungs- und Marktforschungsinstitute erhoben wird.

Werbung mit Reichweitenangaben ist ähnlich streng zu beurteilen wie vergleichende Werbung. Da die Aussagekraft von Reichweitenangaben ganz entscheidend davon abhängt, wie, von wem und wann sie errechnet wurden, muss der Werbende die von ihm angegebene Reichweite definieren, er muss die Quelle und den Erhebungszeitraum angeben. Im Rahmen der lauterkeitsrechtlichen Beurteilung richtet sich der Bedeutungsinhalt einer Äußerung nach dem Gesamtzusammenhang und dem dadurch vermittelten Gesamteindruck, den ein aufmerksamer Durchschnittsadressat gewinnt. Richtet sich eine Werbeaussage allein an Fachkreise, so ist für die lauterkeitsrechtliche Beurteilung das Verständnis eines fachkundigen Lesers der Fachzeitschrift maßgebend. Der Gesamteindruck ist aber nicht gleichbedeutend mit dem Gesamtinhalt der Ankündigung, weil der Gesamteindruck durch einzelne Teile der Ankündigung, die als Blickfang besonders herausgestellt sind, entscheidend geprägt werden kann. Bei einer blickfangartigen Aussage bedarf es zur Vermeidung eines irreführenden Gesamteindrucks eines deutlich wahrnehmbaren Hinweises, mit dem über die einschränkenden Voraussetzungen, unter denen die Aussage gilt, ausreichend aufgeklärt wird. Maßgebend ist dabei, ob ein aufmerksamer Durchschnittsadressat den aufklärenden Hinweis wahrnimmt, wenn er mit der Werbeaussage konfrontiert wird.

Die Irreführungseignung kann auch durch unvollständige Angaben herbeigeführt werden, wenn durch das Verschweigen wesentlicher Umstände ein falscher Gesamteindruck hervorgerufen wird, der geeignet ist, die Adressaten der Werbung zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die sie sonst nicht getroffen hätten. Dies gilt auch dann, wenn die beanstandete Aussage bei isolierter Betrachtung wahr ist.

Die Revisionsrekurswerberin zeigt in ihrem Rechtsmittel zutreffend auf, dass in der Werbung der Beklagten der falsche Eindruck vermittelt wurde, einen Vergleich von Medien für denselben Zeitraum anzustellen, obwohl zwischen „Österreich“ und „Österreich/oe24-Kombi“ ein anderer (unterjähriger) Vergleich herangezogen wurde und folglich die jeweils angegebenen Zuwächse oder Verluste unterschiedliche Zeiträume betreffen. Damit wird über die jeweilige Steigerung bzw die Verringerung der Reichweite getäuscht. Wenn die Klägerin aufgrund dessen eine Täuschung über die Reichweite beanstandet und deren Unterlassung begehrt, ist dieses Begehren nicht zu weit gefasst und orientiert sich ausreichend deutlich an der konkreten Verletzungshandlung. Im hier gegebenen – im Antragsbegehren zu Punkt 1. klar zum Ausdruck gebrachten – intertemporalen Kontext ist eine Täuschung über einen Zugewinn an Reichweite auch eine Täuschung über die Reichweite selbst. Der Verstoß der Beklagten ist schon deshalb vom Antragsbegehren gedeckt, weil damit jedenfalls (auch) „Österreich“ mit anderen Tageszeitungen verglichen wird, unabhängig davon, dass sich der Zuwachs auch aus „oe24“ speist.

Richtet sich eine Werbeaussage allein an Fachkreise, ist für die wettbewerbsrechtliche Beurteilung dieser Werbebehauptung allein die Verkehrsauffassung dieser Fachkreise maßgebend. Allerdings ist auch den Fachkreisen nicht zumutbar, aufklärende Hinweise zu beachten, die dem Werbetext – wie hier – in einem um 90 Grad gedrehten Randvermerk in Kleinstschrift (im Verhältnis zum übrigen Text) beigefügt sind. Die Beklagte kann sich daher nicht darauf berufen, sie habe den Adressaten ihres Werbetextes gegenüber ohnehin klar zum Ausdruck gebracht, auf welche Zeiträume sich ihre Reichweitenvergleiche beziehen. Dass der beanstandete Reichweitenvergleich geeignet ist, geschäftliche Entscheidungen der Adressaten zu veranlassen, die sie sonst nicht getroffen hätten, ergibt sich schon daraus, dass die Attraktivität eines Mediums für Werbekunden umso höher ist, je höher dessen Reichweite liegt (vgl oben 1.1.).
Das Vorliegen der Voraussetzungen des Sicherungsbegehrens zu Punkt 1. ist daher bescheinigt.

Dasselbe gilt für Punkt 2. des Sicherungsbegehrens. Hier beanstandet die Klägerin die – mit einem überdimensionierten Pfeil illustrierte – Behauptung, die Zahl der Leser der Beklagten habe sich in einem bestimmten ziffernmäßigen Ausmaß, nämlich um 80.000 Leser, erhöht, wenn diese Behauptung nicht zutrifft. Wahr ist bloß, dass zum selben Erhebungszeitpunkt (MA 2018) die Reichweite von „Österreich“ 518.000 Leser betrug, jene von „Österreich/oe24-Kombi“ 598.000. Darin liegt aber keine Steigerung von einem Erhebungszeitpunkt bis zum nächsten, wie in der gebotenen Gesamtbetrachtung der Werbeeinschaltung aufgrund der zu den Konkurrenzmedien angegebenen Reichweitenentwicklung zu vermuten wäre. Nimmt man die Entwicklung von „Österreich“ laut MA 2017 zu „Österreich/oe24-Kombi“ laut MA 2018 als Maßstab heran (wie das bei den daneben abgebildeten Konkurrenzmedien der Fall war), beträgt die Steigerung zum Ergebnis der MA 2018 ebenfalls keine 80.000, sondern bloß 75.000 Leser. Die Veröffentlichung der Beklagten in Bezug auf die Erhöhung ihrer Leserzahl ist daher auch unter diesem Gesichtspunkt irreführend.

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