Aktuelle Judikatur

EuGH präzisiert Auslegung von nationalen Sonderregeln bei Ursprungsangaben im Lebensmittelbereich

Nationale Sonderregeln der EU-Mitgliedstaaten können zusätzliche verpflichtende Angaben vorsehen, sofern sie etwa durch den Schutz der öffentlichen Gesundheit oder den Verbraucherschutz gerechtfertigt sind. Dabei wird nach EU-Recht vorausgesetzt, dass nachweislich eine Verbindung zwischen der Qualität des Lebensmittels und seinem Ursprung oder seiner Herkunft besteht und der Mitgliedstaat nachweist, dass die Mehrheit der Verbraucher dieser eine wesentliche Bedeutung beimisst. Ansonsten ist eine derartige Herkunftsangabe nur verpflichtend, wenn die Verbraucher ohne die Herkunftsangabe in die Irre geführt werden.

Die Lebensmittelkennzeichnung betreffend deren Herkunft spielt auch auf EU-Ebene für den Gesundheitsschutz und für die Verbraucherinformation eine wesentliche Rolle. Die europarechtlichen Kennzeichnungsbestimmungen in der Lebensmittelinformationsverordnung (LMIV) legen fest, dass das Ursprungsland oder der Herkunftsort eines Lebensmittels immer dann anzugeben ist, wenn die Verbraucher ansonsten getäuscht werden. Eine generelle Verpflichtung zur Ursprungskennzeichnung von landwirtschaftlichen Produkten ist laut LMIV nicht zulässig.

Im Anlassfall ging es um die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen die EU-Mitgliedstaaten nationale Ursprungsangaben für Milch und als Zutat verwendete Milch vorschreiben können. Laut geltendem EU-Recht für Milch und Milchprodukte besteht bloß die Pflicht anzugeben, wo innerhalb der EU das Produkt bearbeitet oder verpackt wurde. Die Herkunft der Milch ergibt sich daraus allerdings nicht. Daher erließen einige EU-Staaten – wie Frankreich – nationale Vorschriften mit einer Pflicht zur Angabe der Herkunft von Milch. Dagegen ging die französische Molkereigruppe Lactalis aus Frankreich mit einer Klage auf Nichtigerklärung der nationalen Vorschrift vor. Der französische Conseil d’Etat legte dem Europäischen Gerichtshof in dieser Causa Vorabentscheidungsfragen zu den Artikeln 26, 38 und 39 der LMIV vor.

In Art. 38 Absatz 2 der LMIV über „Einzelstaatliche Vorschriften“ ist folgendes festgehalten: „Unbeschadet des Artikels 39 dürfen die Mitgliedstaaten einzelstaatliche Vorschriften zu Aspekten erlassen, die nicht speziell durch die Verordnung harmonisiert sind, sofern diese Vorschriften den freien Verkehr der Waren, die dieser Verordnung entsprechen, nicht unterbinden, behindern oder einschränken.“ Weiters ist Art. 39 der LMIV über „Einzelstaatliche Vorschriften über zusätzliche verpflichtende Angaben“ bedeutsam, wonach (laut Absatz 1) zusätzliche Angaben aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder Verbraucherschutzes oder der Betrugsvorbeugung oder zum Schutz von gewerblichen und kommerziellen Eigentumsrechten, Herkunftsbezeichnungen, eingetragenen Ursprungsbezeichnungen sowie vor unlauterem Wettbewerb dies rechtfertigt und laut Absatz 2 die Mitgliedstaaten auf der Grundlage von Absatz 1 nur dann Maßnahmen hinsichtlich der verpflichtenden Angabe des Ursprungslands oder des Herkunftsorts von Lebensmitteln treffen können, wenn nachweislich eine Verbindung zwischen bestimmten Qualitäten des Lebensmittels und seinem Ursprung oder seiner Herkunft besteht.

Der EuGH entschied im Vorabverfahren konkret folgendes:

1. Art. 26 der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 betreffend die Information der Verbraucher über Lebensmittel und zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 1924/2006 und (EG) Nr. 1925/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 87/250/EWG der Kommission, der Richtlinie 90/496/EWG des Rates, der Richtlinie 1999/10/EG der Kommission, der Richtlinie 2000/13/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, der Richtlinien 2002/67/EG und 2008/5/EG der Kommission und der Verordnung (EG) Nr. 608/2004 der Kommission ist dahin auszulegen, dass die verpflichtende Angabe des Ursprungslands oder des Herkunftsorts von Milch und als Zutat verwendeter Milch als „speziell durch diese Verordnung harmonisierter Aspekt“ im Sinne von Art. 38 Abs. 1 dieser Verordnung anzusehen ist, falls ohne diese Angabe eine Irreführung der Verbraucher möglich wäre, und dass er es den Mitgliedstaaten nicht verwehrt, auf der Grundlage von Art. 39 dieser Verordnung Vorschriften zu erlassen, die zusätzliche verpflichtende Angaben vorschreiben, sofern diese mit dem Ziel vereinbar sind, das der Unionsgesetzgeber mit der speziellen Harmonisierung des Aspekts der verpflichtenden Angabe des Ursprungslands oder des Herkunftsorts verfolgt hat, und mit dieser Angabe ein kohärentes Ganzes bilden.

2. Art. 39 der Verordnung Nr. 1169/2011 ist dahin auszulegen, dass, wenn es um nationale Vorschriften geht, die im Hinblick auf Abs. 1 dieses Artikels durch den Verbraucherschutz gerechtfertigt sind, die beiden in Abs. 2 dieses Artikels genannten Anforderungen, nämlich dass zum einen „nachweislich eine Verbindung zwischen bestimmten Qualitäten des Lebensmittels und seinem Ursprung oder seiner Herkunft besteht“ und dass zum anderen „[nachgewiesen wird,] dass die Mehrheit der Verbraucher diesen Informationen wesentliche Bedeutung beimisst“, nicht zusammen zu verstehen sind, so dass das Bestehen dieser nachweislichen Verbindung nicht beurteilt werden kann, indem allein subjektive Kriterien zugrunde gelegt werden, die sich auf die Bedeutung der Assoziation beziehen, die die Mehrheit der Verbraucher zwischen bestimmten Qualitäten des betreffenden Lebensmittels und seinem Ursprung oder seiner Herkunft herstellen kann.

3. Art. 39 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1169/2011 ist dahin auszulegen, dass der Begriff „Qualitäten des Lebensmittels“ die Transporteignung eines Lebensmittels und seine fehlende Anfälligkeit gegenüber den Risiken eines unterwegs eintretenden Verderbs nicht umfasst, so dass diese Merkmale bei der Beurteilung einer eventuell „nachweislich [bestehenden] Verbindung zwischen bestimmten Qualitäten des Lebensmittels und seinem Ursprung oder seiner Herkunft“ im Sinne dieser Bestimmung nicht zum Tragen kommen können.

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