Aktuelle Judikatur

OGH: Unlautere Herabsetzung auch bei wahren Behauptungen möglich

Klägerin in diesem Verfahren war die Betreiberin eines österreichisches Kabelnetzes. Sie brachte gegen einen (privaten) Fernsehsender eine Unterlassungsklage nach dem UWG ein, weil dieser in diversen Medien negative Äußerungen über sie getätigt habe. In der Sache ging es darum, dass die beiden Streitparteien zuvor keine Einigung über die Einspeisung des Sendersignals der Beklagten in das Netz der Klägerin erzielen konnten, wobei die Verhandlungen über die Einspeisung von der Frage der Tarife mitbestimmt waren. Die beanstandeten Äußerungen lauteten auszugsweise: „Informationen für alle L-Kunden – der Kanalnetzbetreiber will P heute aus Ihrem Netz nehmen … L hat P wegen des hohen Informationsbedürfnisses in der Coronakrise ins Netz aufgenommen, die Einspeisung läuft aber heute aus. Der Informationsbedarf endet aber natürlich nicht mit dem heutigen Tag, im Gegenteil! Hier verhindert ein lokaler Monopolist die Verbreitung von Journalismus in Zeiten, in denen qualitativ hochwertige Berichterstattung dringend notwendig ist. Sollten Sie L-Kunde sein, können Sie sich direkt beim Kundendienst [Telefonnummer und mail-Adresse] beschweren.“; „P ist frei empfangbar über Satellit, Antenne, in jedem guten Kabelnetz und via App. Alle Infos finden Sie hier [Link]. Vorausgesetzt man ist kein L-Kunde. Denn der oberösterreichische Kabelnetzbetreiber hat angekündigt, P wieder abschalten zu wollen“; „Diese Eskalation hat keine sachlichen Gründe. Der Kabelnetzbetreiber L hat leider nicht das Interesse seiner Kunden im Fokus, er nimmt ihnen die Chance, einen kostenlosen österreichischen Nachrichtensender in HD-Qualität zu sehen. Viele L-Kunden sind verständlicherweise sehr verärgert. Die Thematik wird auf mehreren Ebenen ein juristisches Nachspiel haben. Da der Public-Value-Sender P unzweifelhaft Must-Carry-Status hat, wird die Einspeisung vermutlich ohnehin behördlich angeordnet werden. Allerdings überlegen wir, uns überhaupt aus einem veraltet agierenden Kabelnetz zurückzuziehen, weil die interessierten Seher all unsere Inhalte auch anders empfangen können …“.
Nach dem Vorbringen der Klägerin hätten diese Aussagen gegen §§ 1 und 7 UWG verstoßen (Behinderung durch Boykott, Anschwärzung, pauschale Abwertung).
Der OGH stellte mit Beschluss vom 22.6.2021, 4 Ob 208/20x, die einstweilige Verfügung des Erstgerichts (zugunsten der Klägerin) wieder her. Zunächst genüge es für die Annahme eines Wettbewerbsverhältnisses im Sinne des UWG, dass die Waren oder Leistungen ihrer Art nach miteinander in Konkurrenz treten können. Es bedürfe keiner eigenen Beeinträchtigung des klagenden Mitbewerbers durch den Wettbewerbsverstoß (kein konkretes Wettbewerbsverhältnis), sondern es reiche wegen des auch öffentlichen Interesses an der Ausschaltung unlauterer Wettbewerbshandlungen aus, dass abstrakt eine Beeinträchtigung theoretisch möglich erscheint. Es genüge zur Begründung einer Mitbewerbereigenschaft, wenn sich der Kundenkreis auch nur zum Teil oder lediglich vorübergehend überschneidet. Ein Wettbewerb finde auch zwischen Marktteilnehmern unterschiedlicher Absatzstufen statt. Auf das Vorliegen einer Wettbewerbsabsicht komme es seit der UWG-Novelle 2007 nicht mehr an, sondern sei ausreichend, wenn das beanstandete Verhalten objektiv geeignet ist, den Wettbewerb zu fördern, was hier schon deshalb bejaht werden könne, weil die Äußerungen der Beklagten geeignet seien, zu einem Abwandern von Kunden der Klägerin zu anderen Absatzmittlern für Fernsehprogramme zu führen, die bereits in Geschäftsbeziehung zur Beklagten stehen. Auf ein Motiv komme es nicht an.
Was den Vorwurf des unlauteren Boykotts betreffe, so sei dieser nicht berechtigt. Ein Boykott sei, so das Höchstgericht, die von einer oder mehreren Personen ausgehende, durch dritte Personen ausgeübte planmäßige Absperrung eines Gegners vom Geschäftsverkehr. Boykott verlange eine Willensbeeinflussung durch den Boykottierer. Eine reine Anregung, die keinerlei Einfluss auf die Entscheidungsfreiheit nimmt, reiche nicht aus. Nach dem Wortlaut der beanstandeten Aussage seien die Kunden lediglich informiert worden, dass sie zukünftig im Kabelnetz der Klägerin den Sender der Beklagten nicht mehr empfangen können, und wo sie sich darüber beschweren können. Die Mitteilung habe auch keinen Vorschlag enthalten, die Geschäftsbeziehungen mit der Klägerin zu beenden. Das Rekursgericht habe daher zutreffend das Vorliegen eines Boykotts im oben dargestellten Sinn verneint.
Zur Frage der unlauteren Herabsetzung durch die von der Beklagten getätigten Aussagen hielt der OGH fest, dass auch dann, wenn eine geschäftsschädigende Behauptung wahr ist, ist der Wettbewerber nicht ohne weiteres berechtigt sei, seinen Mitbewerber herabzusetzen und ihn geschäftlich zu schädigen. Eine unnötige und unsachliche Herabsetzung, auch wenn sie einen wahren Kern enthalte, sei lauterkeitswidrig und könne eine solche Herabsetzung durch Tatsachenbehauptungen wie durch Werturteile erfolgen.

Im vorliegenden Fall habe die Beklagte die Kunden der Klägerin zwar richtig darüber informiert, dass die Einspeisung des Senders der Beklagten auslaufe. Auch mag die Klägerin „lokaler Monopolist“ hinsichtlich einer bestimmten Art von Dienstleistung sein. Allerdings sei die Aussage in ihrem Gesamtzusammenhang als Vorwurf an die Klägerin zu verstehen, dass diese mutwillig die Verbreitung von hochwertigem Journalismus verhindere. Diese Darstellung, verbunden mit der Einladung zur Beschwerde und dem Verschweigen des (finanziellen) Hintergrunds, nämlich der Uneinigkeit über die zu entrichtenden Einspeisungsgebühren, setze die Klägerin pauschal und unsachlich herab. Der Aspekt, dass die Diskussionen zwischen den Streitteilen über eine mögliche Einspeisung von der Frage der Tarife mitbestimmt wurde, habe die beanstandeten Aussagen der Beklagten wegen Unvollständigkeit unlauter gemacht: Redlicherweise hätten die Beklagten auch den Grund für das Scheitern der Vertragsgespräche kommunizieren müssen, statt tatsachenwidrig zu verbreiten, „diese Eskalation hat keine sachlichen Gründe“. Ohne diese Zusatzinformation habe das Handeln der Klägerin willkürlich erscheinen müssen und diese in ein schlechtes Licht gesetzt. Die beanstandeten Äußerungen verstoßen daher als sonstige unlautere Handlung gegen § 1 Abs 1 Z 1 UWG.
Die Aussage, wonach die Programme der Beklagten „in jedem guten Kabelnetz …“ empfangbar seien, vorausgesetzt man sei kein Kunde der Klägerin, könne im Umkehrschluss nur dahin verstanden werden, dass die Klägerin kein gutes Kabelnetz betreibe. Auch darin liege eine unsachliche Herabsetzung. Die Aussagen, dass die Klägerin nicht das Interesse seiner Kunden im Fokus habe, und dass sie „veraltet agiere“, seien ebenfalls herabsetzende und unsachliche Wertungen. Denn Preisverhandlungen der Klägerin mit den beklagten „Lieferanten“ seien durchaus im Interesse der Kunden. Es sei ausschließlich im Interesse der Beklagten, möglichst kostengünstigen Zutritt zum Kabelnetz der Klägerin zu erhalten. Auch sei ein kostenbewusstes Agieren der Klägerin nicht als veraltet anzusehen. Auch diesbezüglich bestehe der Sicherungsanspruch daher zu Recht.

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