Aktuelle Judikatur

Arzneimittelrecht: EuGH präzisiert Vorgaben rund um Verkauf von Arzneimitteln und Werbung im Arzneimittelversandhandel

Ad 1) Pharma Expressz (C-178/20)
Im Fall des ungarischen Unternehmens Pharma Expressz verkaufte diese Firma in Ungarn ein Arzneimittel, das in anderen EU-Mitgliedstaaten rezeptfrei war. In Ungarn lag für das Arzneimittel keine Genehmigung für das Inverkehrbringen vor, womit eine entsprechende ungarische Regelung missachtet wurde, für anderen EU-Mitgliedstaaten jedoch sehr wohl, da es ohne ärztliche Verschreibung abgegeben wird, also rezeptfrei ist.
Der EuGH stellte im Vorabentscheidungsverfahren zur Auslegung der Arzneimittelrichtlinie folgendes fest. Nach Art 6 Abs 1 Arzneimittelrichtlinie darf ein Arzneimittel in einem Mitgliedstaat erst dann in den Verkehr gebracht werden, wenn die zuständige Behörde dieses Mitgliedstaats oder die EU-Kommission eine Genehmigung erteilt hat. Fehlen diese Voraussetzungen, darf das Arzneimittel in diesem Mitgliedstaat nicht vertrieben werden. Diese Rechtslage wurde in den ungarischen Vorschriften umgesetzt. Unerheblich ist, ob das Arzneimittel in einem anderen Mitgliedstaat rezeptfrei verkauft werden darf.
Den Ausnahmefall der EU-Arzneimittelrichtlinie, wonach in besonderen medizinischen Bedarfsfällen das Inverkehrbringen von Arzneimitteln in einem anderen Mitgliedstaat ohne Genehmigung von diesem Mitgliedstaat oder der EU-Kommission gestattet ist, wurde in den ungarischen Vorschriften auch umgesetzt.
Der EuGH sieht im gegenständlichen Fall keinen Bezug zum freien Warenverkehr (Art 34ff AEUV). Laut EuGH wurde die Ausnahme der Arzneimittelrichtlinie ordnungsgemäß von Ungarn umgesetzt, weshalb es sich um keine mengenmäßige Beschränkung oder Maßnahme gleicher Wirkung handelt.
Zusammenfassend darf ein in einem Mitgliedstaat als rezeptfrei eingestuftes Arzneimittel nicht ohne Genehmigung der jeweiligen nationalen Behörden in einem anderen Mitgliedstaat vertrieben werden, wenn es keine EU-weite Genehmigung der Kommission gibt.

Ad 2) DocMorris (C-190/20)
In einem Rechtsstreit zwischen der DocMorris NV, ein in den Niederlanden ansässiges Unternehmen, das eine Versandapotheke betreibt, und der Apothekerkammer Nordrhein (Deutschland) ging es um von DocMorris an die Kunden in Deutschland verteilte Flyer, mit dem für ein „Großes Gewinnspiel“ für diverse Gegenstände des täglichen Gebrauchs geworben wurde, bei dem Teilnahmevoraussetzung das Einsenden eines Rezepts für ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel war.
Die Apothekerkammer Nordrhein bewertete diese Werbeaktion als Verstoß gegen das deutsche Heilmittelwerbegesetz – mit einem Zugabenverbot bei der Rezepteinlösung – und klagte auf Unterlassung. Der EuGH prüfte in einem Vorabentscheidungsverfahren, ob Unionsrecht (Art 87 Abs 3 Arzneimittelrichtlinie („Die Arzneimittelwerbung muss einen zweckmäßigen Einsatz des Arzneimittels fördern, indem sie seine Eigenschaften objektiv und ohne Übertreibung darstellt; sie darf nicht irreführend sein.“), Art 34 AEUV betreffend Warenfreiheit und Richtlinie 2000/31 über den elektronischen Geschäftsverkehr einer nationalen Regelung im Bereich Heilmittelwerbung entgegensteht, die es einer Apotheke verbietet, eine Werbeaktion in Form eines Gewinnspiels durchzuführen.
Der EuGH stellte dazu fest, dass das Unionsrecht dies nicht verbiete und führte diesbezüglich folgendes aus:
Die im gegenständlichen Streitfall beanstandete Werbeaktion mittels Gewinnspiel fällt nicht in den Anwendungsbereich der Arzneimittelrichtlinie (Richtlinie 2001/83). Im Titel VIII dieser Richtlinie wird die Werbung für bestimmte Arzneimittel (Inhalt der Werbebotschaft, Ausgestaltung der Werbung), allerdings nicht die Werbung für Dienstleistungen des Online-Verkaufs von Arzneimitteln geregelt. Im konkreten Fall handelt es sich nicht um Werbung für ein bestimmtes Arzneimittel, sondern um eine Werbung für das gesamte Sortiment verschreibungspflichtiger Arzneimittel, das von der betreffenden Apotheke angeboten wird. Daraus folgt, dass eine solche Werbeaktion wie im Ausgangsverfahren, nicht in den Anwendungsbereich der Arzneimittelrichtlinie fällt.
Weiters ist für den EuGH nicht ersichtlich, dass die Richtlinie 200/31 über den elektronischen Geschäftsverkehr im gegenständlichen Fall erheblich wäre, da die strittige Werbeaktion für Dienstleistungen des Arzneimittelverkaufs nicht elektronisch über eine Bestellung im Online-Shop, sondern im Versandhandel erbracht wurde. Für die Teilnahme am Werbegewinnspiel musste mit einem Freiumschlag ein Bestellschein zusammen mit einem Rezept übersandt werden.
Die gegenständliche Rechtssache ist insoweit von einer anderen zu unterscheiden, in der das Urteil vom 1. Oktober 2020, A (Werbung und Online-Verkauf von Arzneimitteln) (C‑649/18), ergangen ist. In dieser Rechtssache ging es um eine Werbekampagne für Dienstleistungen des Online-Verkaufs nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel, die sowohl mit physischen Werbeträgern als auch über die Website der betreffenden Apotheke durchgeführt wurde.
Somit ist festzustellen, dass das Verbot der Veranstaltung von Gewinnspielen zur Werbung für Dienstleistungen des Verkaufs von Arzneimitteln im Versandhandel auf EU-Ebene nicht harmonisiert ist. Für die Regelung dieses Bereichs sind daher weiterhin die Mitgliedstaaten zuständig, die dabei insbesondere die im AEU-Vertrag verbürgten Grundfreiheiten zu beachten haben.
Schließlich stellt der EuGH fest, dass in dieser Causa der Aspekt des freien Warenverkehrs (Art 34 AEUV) gegenüber dem des freien Dienstleistungsverkehrs überwiegt, da das Gewinnspiel auf die Förderung des Arzneimittelverkaufs abzielt. Nationale Verkaufsmodalitäten fallen nicht unter Art 34 AEUV, sofern sie für alle Wirtschaftsteilnehmer gelten, die im Inland tätig sind, und sofern sie den Absatz der inländischen Produkte und jenen aus anderen Mitgliedstaaten rechtlich wie tatsächlich in der gleichen Weise berühren. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, ist die Anwendung derartiger Regelungen auf den Verkauf von Erzeugnissen aus einem anderen Mitgliedstaat, die den von diesem Staat aufgestellten Bestimmungen entsprechen, nämlich nicht geeignet, den Marktzugang für diese Erzeugnisse zu versperren oder stärker zu behindern, als sie dies für inländische Erzeugnisse tut (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24. November 1993, Keck und Mithouard, C‑267/91 und C‑268/91).
Die gegenständliche nationale (deutsche) Regelung stuft der EuGH als Verkaufsmodalität ein, die nicht in den Anwendungsbereich von Art 34 AEUV fällt.
Summa summarum bleibt es mangels unionsrechtlicher Harmonisierung den EU-Mitgliedstaaten überlassen, bestimmte Werbeaktionen wie Gewinnspiele zur Werbung für den Arzneimittelverkauf im Versandhandel zu regeln.

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