Aktuelle Judikatur

Kontrahierungszwang für marktbeherrschende Unternehmer bei Produktinnovation

Der gegenständlichen Entscheidung des OGH (als Kartellobergericht) vom 12.10.2021, 16 Ok 1/21i – ASFINAG, war ein UWG-Verfahren vorausgegangen, in welchem einem deutschen Unternehmen wegen Verstoßes gegen die §§ 1 und 2 UWG untersagt worden war, sofort gültige, digitale Autobahn-Vignetten für Österreich anzubieten, ohne den Verbrauchern das Widerrufsrecht nach dem Fernabsatzgesetz (FAGG) zu gewähren und/oder diese durch unrichtige Informationen dazu zu bewegen, die Mautprodukte zu höheren Preisen als im ASFINAG Webshop zu erwerben (OGH 19.12.2019, 4 Ob 96/19z – Digitale Vignette ‑ ASFINAG AG). Das deutsche Unternehmen hatte damit geworben, dass anders als in Österreich, wo von der ASFINAG wegen des gesetzlichen Rücktrittsrechts der Verbraucher nach dem FAGG eine Wartezeit von 18 Tagen nach dem Kauf bis zur Gültigkeit der digitalen Vignette vorgesehen sei, man als Anbieter mit Sitz in Deutschland aufgrund einer unterschiedlichen Rechtslage die Vignette mit sofortiger Gültigkeit ausstellen könne. De facto hatte das Unternehmen die Vignetten im ASFINAG-Webshop gekauft und dort für die einzelnen Kunden jeweils angegeben „Ich bin Unternehmer“, wodurch das Rücktrittsrecht entfiel. Die Vignetten wurde zu einem deutlich erhöhten „Pauschalpreis“ verkauft (zB um EUR 98,20 statt um regulär EUR 89,20 für die Jahresvignette).

Einige Zeit nach der OGH-Entscheidung stellte das deutsche Unternehmen beim Kartellgericht den Antrag, der ASFINAG den Missbrauch ihrer marktbeherrschenden Stellung (vgl §§ 4 ff KartG) zu untersagen, welcher darin bestünde, ihr den Zugang zum ASFINAG-Webshop zu verwehren. Sie könne ihre neuen Produkte, nämlich digitale Mautprodukte mit einem Gültigkeitsbeginn von weniger als 18 Tagen ab Kauf, ohne diesen Zugang nicht anbieten, obwohl sie nun nach einem „geänderten Geschäftsmodell“ digitale Mautprodukte der ASFINAG nur an Kunden mit Sitz außerhalb Österreichs und nur für Fahrzeuge mit nicht österreichischen Kennzeichen anbieten werde. Darüber hinaus werde sie die Verbraucher auch ordnungsgemäß über das gesetzliche Widerrufsrecht informieren und dieses gewähren; überdies werde man die Verbraucher auch über die höheren Preise gegenüber dem ASFINAG-Webshop informieren. Die ASFINAG unterliege als marktbeherrschendes Unternehmen einem Kontrahierungszwang, weil sie über unerlässliche Vorleistungen auf dem vorgelagerten Markt verfügt. Sie dürfe eine Geschäftsbeziehung mit der Antragstellerin, dh den Zugang zu ihrem Webshop, nicht verweigern.

Die ASFINAG hielt dem insbesondere entgegen, dass die Leistungen der Antragstellerin keinen Mehrwert für die Kunden hätten und kein Bedarf für dieses „Service“ bestehe. Man habe dadurch zwar keinen unmittelbaren wirtschaftlichen Nachteil, weil ja die Maut voll entrichtet werde; man müsse aber im Kundenservice regelmäßig erzürnte Kunden der Antragstellerin betreuen, die sich über die Antragstellerin beschwerten. Ein Marktmachtmissbrauch liege nicht vor, weil Geschäftsverweigerungen auch bei marktbeherrschenden Unternehmen nur unter bestimmten, engen Voraussetzungen unzulässig seien. Zudem könnten die Verbraucher sofort gültige digitale Mautprodukte bereits jetzt bei Vertriebspartnern der ASFINAG kaufen.

Das Erstgericht (Kartellgericht) gab dem Antrag des deutschen Unternehmens statt. Der OGH bestätigte diese Entscheidung (im Wesentlichen) und führte zusammengefasst Folgendes aus:

Auch einem marktbeherrschenden Unternehmen steht es grundsätzlich frei zu entscheiden, mit wem und auf welcher Grundlage kontrahiert wird, welche „Vertriebswege“ gewählt und welche Preise für die eigenen Produkte bzw Dienstleistungen berechnet werden. Missbräuchliches Unterlassen, insbesondere in Form einer Lieferverweigerung, wird jedoch dann angenommen, wenn das Verhalten eines solchen Unternehmens durch keine objektiven Gründe gerechtfertigt wird. Ein Kontrahierungszwang trifft vor allem Inhaber gesetzlicher oder faktischer Monopole sowie Unternehmen mit beherrschender Verfügungsmacht über Einrichtungen, die für die Geschäftstätigkeit anderer Teilnehmer notwendig sind.

Da die Antragstellerin in ihrem Webshop ein neues Produkt anbieten will, nämlich den online-Vertrieb „sofort“ – dh innerhalb von weniger als 18 Tagen ab Kaufdatum – gültiger digitaler Maut-Vignetten an Verbraucher, liegt auf der Hand, dass für das Anbieten dieses neuen Produkts der Online-Bezug digitaler Mautprodukte zwingend erforderlich ist. Ein solcher ist allerdings ausschließlich über den Webshop der ASFINAG technisch möglich. Dem Einwand, es bestehe kein Markt für die Leistungen der Antragstellerin und auch kein Bedarf daran, ist zu entgegnen, dass grundsätzlich, aber auch gerade in Zeiten einer Pandemie, ein Bedürfnis von Verbrauchern bestehen kann, eine sofort gültige digitale Vignette online zu erwerben. Im Ergebnis erweist sich der Antrag daher insofern als berechtigt, als er auf die Gewährung des Zugangs zum Webshop der ASFINAG zum Zweck der Ermöglichung des neuen Produkts der Antragstellerin (also der Weiterveräußerung von „sofort“ gültigen digitalen Mautprodukten an Verbraucher) abzielt.

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