Aktuelle Judikatur

Rechtsrahmen für Spitzenstellungswerbung

OGH Geschäftszahl 4 Ob 223/22f vom 25.04.2023

Im Streitfall zweier Unternehmen aus dem Geschäftszweig der Gebäudetechnik und Gebäudeautomation ging es konkret um Jobanzeigen der Beklagten auf Facebook und LinkedIn, in denen sie für sich eine Spitzenstellung behauptete. Die Klägerin war in der Vergangenheit eine Tochtergesellschaft der Beklagten.
Die Klägerin begehrte Unterlassung von der Beklagten, das Unternehmen als „Österreichs größtes privat geführtes Unternehmen im Bereich Gebäudeautomation“ und/oder „Österreichs größtes privat geführtes Unternehmen im Bereich Gebäudetechnik“ zu bewerben, wenn dies gar nicht der Fall sei. Die Beklagte bewerbe ihr Unternehmen unzulässig durch Spitzenstellungswerbung, wobei die getroffenen Werbeäußerungen nicht richtig seien, und stützte sich dabei auf § 2 UWG. Die Vorinstanzen sahen hier keine für die Irreführung relevante Werbung, was den OGH zu einer Aufhebung dieser Entscheidungen veranlasste.

Dazu hielt der Oberste Gerichtshof im Detail fest: Der Schutzzweck des Irreführungsverbots nach § 2 UWG richtet sich im Vertikalverhältnis sowohl auf den B2B- als auch auf den B2C-Bereich, und erstreckt sich nicht nur auf das Verhältnis zur Marktgegenseite, sondern gleichberechtigt auch auf das Horizontalverhältnis gegenüber dem Mitbewerber (arg „Marktteilnehmer“); Allein- und Spitzenstellungswerbung ist eine Werbemethode, die sowohl unternehmens- als auch produktbezogen gesetzt werden kann. Seit der UWG-Nov 2007 wird Werbung mit einer Spitzenstellung (ebenso wie vergleichende Werbung) regelmäßig am Tatbestand des § 2 Abs 1 Z 2 UWG gemessen. Sie ist wettbewerbsrechtlich zu beanstanden, wenn die – ernstlich und objektiv nachprüfbar behauptete – Spitzenstellung nicht den Tatsachen entspricht oder die Ankündigung sonst zur Irreführung der angesprochenen Verkehrskreise geeignet ist. Eine Marktführerschaft richtet sich im Allgemeinen nach dem Marktanteil, der den wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens abbildet. Die Inanspruchnahme einer Spitzenstellung etwa als größtes Unternehmen Österreichs setzt damit voraus, dass tatsächlich ein stetiger und erheblicher Vorsprung vor allen Mitbewerbern Österreichs besteht. Entspricht die beanstandete Behauptung zur Spitzenstellung nicht den Tatsachen oder sind die Angaben unvollständig, so liegt eine irreführende Geschäftspraktik vor (4 Ob 38/19w).

Die Frage, ob eine bestimmte Werbeaussage eine objektiv überprüfbare Tatsachenbehauptung oder nur eine rein subjektive, jeder objektiven Nachprüfung entzogene Meinungskundgebung (oder gar eine nicht ernst zu nehmende Marktschreierei) ist, ist immer nach dem Gesamteindruck der Ankündigung – unter Berücksichtigung ihres Gegenstands, ihrer Form, des Zusammenhangs, in den sie gestellt wird, sowie aller sonstigen Umstände, die für das angesprochene Publikum maßgebend sein können – zu beurteilen. Ob Angaben zur Irreführung geeignet sind, ist sowohl nach der Rechtslage vor als auch aufgrund jener nach der UWG-Nov 2007 vom Gesamteindruck der Werbung abhängig (4 Ob 177/08w), wobei auf das Leitbild des anlass- und situationsbezogen angemessen gut unterrichteten, aufmerksamen und kritischen Werbungsadressaten abzustellen ist; bei einer mehrdeutigen Angabe muss der Werbende die für ihn ungünstigste Auslegung gegen sich gelten lassen, es sei denn der Sinngehalt der beanstandeten Ankündigung wäre nach dem Verständnis des unbefangenen Durchschnittsbetrachters in einer bestimmten Richtung klar. Die Frage des Eindrucks der angesprochenen Kreise ist nach ständiger Rechtsprechung eine Rechtsfrage, wenn zu ihrer Beurteilung – wie hier – die Erfahrungen des täglichen Lebens ausreichen.

Die Beklagte hat sich in den festgestellten Job-Annoncen als Österreichs größtes privat geführtes Unternehmen im Bereich Gebäudeautomation bzw -technik bezeichnet. Die Zurechenbarkeit dieser Annoncen nach § 18 UWG wird auch von der Beklagten nicht in Frage gestellt. Diese Aussagen enthalten zumindest im Kern konkrete und nachprüfbare Tatsachenbehauptungen und lassen eine nach Umfang und Dauer erhebliche wirtschaftliche Sonderstellung des werbenden Unternehmens erwarten, welche diesem einen beachtlichen und dauerhaften Vorsprung vor seinen Mitbewerbern sichert (vgl 4 Ob 314/82).

Dass diese Aussagen in Job-Annoncen auf Social-Media-Plattformen getätigt wurden, vermag nichts daran zu ändern, dass dies „im geschäftlichen Verkehr“ geschah: Einerseits sind die Postings sowohl in Facebook als auch in LinkedIn grundsätzlich nicht darauf beschränkt, nur von konkreten Stelleninteressenten gelesen zu werden, oder nur für solche konkreten Personen bestimmt oder an diese gerichtet, sondern grundsätzlich allgemein für beliebige Plattformteilnehmer offen zugänglich gewesen. Andererseits sind (nicht nur, aber besonders auch in Zeiten des Fachkräftemangels) Handlungen, Unterlassungen, Verhaltensweisen oder Erklärungen, kommerzielle Mitteilungen einschließlich Werbung und Marketing im Wettbewerb um möglichst qualifizierte Mitarbeiter als hinreichend eng mit der Absatzförderung, dem Verkauf oder der Lieferung der Leistungen und Produkte eines Unternehmens zusammenhängende Geschäftspraktiken im Sinne des § 1 Abs 4 Z 2 UWG anzusehen.

Die Ansicht, dass die dargelegten Kernaussagen von 4 Ob 314/82 im Lichte der UWG-Nov 1997 nicht mehr einschlägig sein sollten, ist ebensowenig zu teilen wie die Ansicht, dass es den Aussagen an Relevanz mangle, weil sie das Entscheidungsverhalten der Maßfigur nicht ausschlaggebend beeinflussen würden. Gerade die Einleitung der Annoncen mit der Selbstvorstellung der Beklagten mit einer Spitzenstellung kann dazu führen, dass sich auch ein angemessen aufmerksamer und kritischer Leser, der sich für eine Anstellung bei der Beklagten interessiert, ebenso wie ein potenzieller Konsument der Produkte der Beklagten dadurch veranlasst sieht, sich mit deren Angeboten zu befassen, ihnen letztlich auch näherzutreten, was somit für die geschäftliche Entscheidung des Adressaten im Sinne des § 2 Abs 1 Satz 1 UWG relevant (vgl 4 Ob 148/09g) sein kann. Der OGH entschied, dass die Aussagen der Beklagten grundsätzlich als irreführende Geschäftspraktiken im Sinne einer unlauteren Spitzenstellungswerbung angesehen werden können und das daher von der ersten Instanz inhaltlich zu überprüfen ist.

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